Die Schleim-Forscherin
News from Oct 04, 2022
Die Schleim-Forscherin
MIT-Biologin Katharina Ribbeck erforscht Mucus und baut eine Kooperation mit Polymerforschenden an der Freien Universität auf
Spontan würden einem verschiedene angenehme Dinge einfallen, die man erforschen könnte – nur nicht Schleim (Mucus). Doch für Professorin Katharina Ribbeck sind diese „biologischen Hydrogele“, die in verschiedensten Varianten im Körper vorkommen, extrem spannend. „Mich hat fasziniert, wie wichtig Mucus-Barrieren sind – und zugleich wie unterstudiert.“ Von der Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose, bei der zu zäher Bronchialschleim die Atmung der Betroffenen stark beeinträchtigt, hat man gehört. Aber sonst?
Schleim ist nicht bloß ein „abgesondertes Abfallprodukt“, sondern erfüllt wichtige Aufgaben. Allen voran: Oberflächen feucht zu halten. „Schleim ist ein sehr gutes Gleitmittel, das uns erst ermöglicht, die Augen zu schließen oder zu schlucken. Auch die Riechzellen in der Nase und die Geschmacksknospen auf der Zunge sind darin eingebettet.“ Zudem lebt ein Großteil des menschlichen Mikrobioms, speziell die Darmflora, in Mucus. „Kein synthetisches Material schafft es bislang, eine so diverse Mikrobengemeinschaft zu unterstützen und zu ernähren.“
Schleim zerlegen und verstehen
Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge zerlegt die deutsche Biologin Schleim in seine Bausteine, um zu verstehen, welche für seine Funktionen essenziell sind. Strukturgebend sind Muzine – lange, vernetzte Polymere aus feuchtigkeitsbindenden Glykoproteinen, die wie Flaschenbürsten aussehen. Nur dass deren Borsten aus kurzen Ketten von Zuckermolekülen bestehen. Der Polymerchemiker Professor Rainer Haag von der Freien Universität Berlin untersucht, wie man solche fädigen Strukturen synthetisch herstellen kann, damit sie die Eigenschaften von natürlichem Mucus annehmen. Synthetischen Schleim könnte man vielleicht irgendwann therapeutisch einsetzen. Im Rahmen des Mercator-Programms der Deutschen Forschungsgemeinschaft bauen beide Arbeitsgruppen derzeit eine intensive Forschungskooperation auf, um voneinander zu lernen.
Auf die „Schleimspur“ geriet Katharina Ribbeck an der Universität Heidelberg, wo sie Biologie studierte und später promovierte. Ihr Thema damals: Transport durch die Zellkernhülle. „Die Kernhülle besitzt viele kleine Poren, die mit einer schleimigen Substanz gefüllt sind. Dieses Gel, ein enger Verwandter des Schleims, ist ein Polymernetzwerk mit fädigen Strukturen, durch das sich manche Partikel bewegen können und andere nicht. Und ich dachte mir, das ist sicher nicht die einzige Stelle in der Biologie, an der es so etwas gibt“, erzählt Ribbeck.
Ein Kollege von der Harvard Medical School in Boston lud sie ein, ein Jahr gemeinsam mit ihm zu forschen. Bald ergab sich die Möglichkeit, an der Harvard-Universität in Cambridge für fünf Jahre eine eigene Nachwuchsgruppe aufzubauen. Die Bedingung war, ein völlig neues Forschungsfeld zu bearbeiten. Katharina Ribbeck lacht. „Das war sozusagen die ganz große Karotte für mich! Ich dachte mir: Also wenn, dann muss ich jetzt mit dem Mucus rausrücken.“
Sie begann mit Speichel, dem Schleim, der beim Menschen am einfachsten zugänglich ist. „Bald haben wir uns auch Mucus aus dem Magendarmtrakt von Schweinen angesehen, den man gut in großen Mengen isolieren kann. Dann menschlichen Zervixschleim – er wird von Drüsen am Gebärmutterhals produziert –, weil es da Zusammenhänge zwischen bestimmten Formen von Unfruchtbarkeit und Defekten der Mucusbarriere gibt.“
Wie gelangen Medikamente an ihren Zielort?
Anfangs ging es ihr um einfache Selektivität: Welche Eigenschaften ermöglichen es einem Partikel, durch Mucus hindurchzukommen? Und welche bleiben immer hängen? Das ist beispielsweise wichtig, um zu verstehen, wie Medikamente an ihren Zielort im Körper gelangen. Denn egal, ob ein Wirkstoff inhaliert oder geschluckt wird: Irgendwo muss er eine Mucusschicht durchqueren.
Schleim ist kein klebriger Filter, der alles abfängt. Ribbeck hat Bakterien in Schleim gesetzt – und die kämpften sich durch! „Die Polymere von intaktem Mucus sind sehr gut darin, Mikroben daran zu hindern, große Kolonien zu bilden – ohne sie abzutöten. Dadurch vermischen sie sich mit anderen Spezies, und Infektionen durch Pathogene können sich nicht so leicht aufbauen.“ So vergrößert sich auch die Biodiversität des Mikrobioms. „Auch Korallen besitzen übrigens eine Mucusschicht. Von deren Eigenschaften und Qualität hängt es ab, welche Bakterien sie rekrutieren, um sich bei Nahrungsaufnahme und -zersetzung helfen zu lassen.“ Schleim ist demnach ein ganz besonderes aktives Oberflächenmaterial, das Lebewesen ermöglicht, mit der Außenwelt zu interagieren, bestimmte „Informationen“ aufzunehmen und andere fernzuhalten.
Die Muzine werden von Zellen in der Schleimhaut produziert, zunächst in kleinen Kapseln – den Vesikeln – verpackt und bei Bedarf entlassen. „Ein besonderes Ereignis, denn die Glykoproteine sind nahezu trocken gelagert und verhundertfachen ihr Volumen, wenn sie hydriert werden.“ Das ist so ähnlich, wie Nudeln beim Kochen aufquellen – bloß, dass in diesen Fall drei, vier Nudeln am Ende den Topf ausfüllen würden. Beim Aufquellen vermischen und vernetzen sich die Muzine.
200 Quadratmeter Schleim
Rechnet man die Oberfläche zusammen, die bei einem Erwachsenen von Schleim bedeckt ist, käme man auf 200 Quadratmeter. „Die Schleimproduktion ist ein richtig großes Investment für den Körper“, betont Katharina Ribbeck. Je nach „Einsatzort“ übt Mucus verschiedene Funktionen aus, die sich in seiner Zusammensetzung und Viskosität widerspiegeln. Nur etwa 20 verschiedene Muzine kommen dabei zum Einsatz. Sie unterscheiden sich in der Länge und in den Details ihrer Zuckerketten. Letztere sind spezifisch für bestimmte Oberflächen. „Dazu kommen biophysikalische Unterschiede, die sich durch die Art der Vernetzung und den pH-Wert ergeben, bei dem das Muzin arbeitet“, erklärt Katharina Ribbeck. So ist das gleiche Muzin in der Lunge – bei fast neutralem pH-Wert – sehr dünnflüssig, während es sich im sauren Milieu des Magens zu einer fast gummiartigen Substanz verdichtet, die die Magenwand vor Selbstverdauung schützt. Forschende nennen so etwas „smart material“, wenn sich durch äußere Einflüsse die Eigenschaften eines Materials verändern.
Ob Katharina Ribbeck dauerhaft in den USA bleiben wird, ist noch ungewiss. „Ich fühle mich am MIT sehr wohl. Aber im Herzen bin ich Europäerin und werde es auch bleiben“, sagt sie. Wissenschaftlich hat die 47-Jährige jedenfalls noch einiges vor. Die Darm-Hirn-Achse, also der Gedanke, dass Mikroben, die auf und im Körper leben, unseren mentalen Zustand beeinflussen, gehe ihr nicht aus dem Kopf. „Unter Stress und bei Depressionen verändert sich das Mikrobiom, und dabei spielt Mucus eine wichtige Rolle.“
Die Biologin denkt auch darüber nach, gesundheitsfördernden Mikroben bessere Ankerpunkte im Schleim anzubieten. Vielleicht könne man auch lernen, Bakterien mit ganz neuen Fähigkeiten anzusiedeln? Damit sie besondere Stoffe aus Nahrungsmitteln extrahieren können, die der Körper selbst nicht herstellen kann? Dazu kommt es auf das richtige „Futter“ an. „Denn mit Mucus ist es wie mit Erde: Enthält sie nicht die richtigen Nährstoffe, kann man bestimmte Dinge nicht anpflanzen.“ Schleim ist zwar ein glitschiges, aber offenbar noch ein sehr weites Feld.
Vollständige Mitteilung aus der Tagesspiegel-Beilage, Ausgabe vom 3.10.2022:https://www.fu-berlin.de/presse/publikationen/tsp/2022/tsp-oktober-2022/22-die-schleim-forscherin/index.html